Rudolf Egger-Büssing

Kassette Dr. Christoph Egger-Büssing aus dem "Offenen Archiv", Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße

In Braunschweig befand sich eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme. Sich eines Ortes, der Schauplatz von Unmenschlichkeit war, zu erinnern und seinen Standort zu kennzeichnen, ist notwendig und sinnvoll. Denn es ist schwerer, Erkenntnisse zu verdrängen oder vor Sichtbarem die Augen zu verschließen als sich auf das sanfte Kissen des (häufig angeblichen) Unwissens zu betten.

Mir selber verbietet sich wohlfeile Betroffenheitslyrik oder Verstecken hinter historischer Betrachtung. Die Fakten sind klar. Ich bin Angehöriger einer Familie, die vom Nationalsozialismus mittelbar und unmittelbar profitiert hat. Mein Großvater war verantwortlich für den Einsatz von KZ-Häftlingen in der Firma Büssing, die er geleitet hat. Das tut weh.

Auf die Torturen der Häftlinge und ihrer Angehörigen einzugehen fühle ich mich weder aufgerufen noch kompetent genug. Gerade weil ich aufgrund eigener beruflicher und persönlicher Erfahrungen die Leiden der Betroffenen erahne, fürchte ich den schalen Beigeschmack, der dem Verstehen und Mitleiden anhaftet, welches von einem Angehörigen der Täter geäußert wird. Viel eher kann ich mich zu meinem persönlichen Schmerz äußern.

Ich habe meinen Großvater bewundert und geliebt. Er war freundlich, geduldig, großzügig und liebevoll im Umgang mit seinen Enkeln. Kaum zu glauben, daß dieser Mann gewußt und geduldet hat, was während des faschistischen Regimes im allgemeinen und in der Schillstraße im besonderen an Verbrechen verübt wurde. Mein Großvater war kein fanatischer Nazi oder sadistischer Gestapo-Folterer. Es gibt aber genügend Zeugnisse selbst von hochrangigen Repräsentanten des sogenannten Dritten Reiches, die schwerste Schuld auf sich geladen haben, und die im privaten Umgang ungewöhnlich freundliche Zeitgenossen waren. Die Psychologie dieses Phänomens wurde erforscht und beschrieben. Die wesentlichen Aussagen sind mir bekannt. Dennoch bleibt es der Kinderseele in mir rätselhaft, wie der Privatmann Rudolf Egger-Büssing dem Unternehmer gleichen Namens gestatten konnte, sich so zu verhalten, wie er es getan hat. Diese Verstörung wird bleiben.

Ein hehres Ziel im Rahmen der Beschäftigung mit der Geschichte von Gesellschaften und Individuen ist diejenige Erkenntnis, die uns hilft, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Ob dies jemals gelungen ist, wage ich zu bezweifeln. Trotzdem: Resignation diesbezüglich ist nichts anderes als der Egoismus der Verantwortungslosen. Aus der Geschichte lernen bedeutet aber auch, die Wahrheit zu sagen. Wegsehen, Schweigen und Lügen hemmen die mühsamen Schritte zur Einsicht und daraus folgender Konsequenz. Insbesondere junge Menschen spüren die Unaufrichtigkeit eher als sie diese argumentativ begründen können.

Ich denke an all die Fragen, die ich meinen Eltern und Großeltern zu Hitler und seinen Folgen stellte. Warum nur, frage ich mich im Geiste des nicht psychotherapeutisch vorgebildeten Jugendlichen, konnten sie nicht ein einziges Mal ehrlich antworten? Warum nur taten die Anderen (wer immer das von den Partisanen, Juden oder Russen war) angeblich viel Schlimmeres? Warum nur waren intelligente und sensible Menschen bis zum 8.5.1945 mit Blindheit und Nicht-Wissen geschlagen und erholten sich scheinbar blitzartig zu aufrechten Demokraten in einem Rechts- und Sozialstaat?

Es besteht niemals Anlass zu Selbstgerechtigkeit. Viele Repräsentanten der beteiligten Organisationen am "Offenen Archiv" und auch ich selber schweigen heute aus Bequemlichkeit oder handfesten persönlichen Interessen dort, wo wir reden sollten. Je älter wir werden, umso verlockender erscheinen verzweifelte Attitüde und zynische Haltung. Wir schreien erst, wenn man uns selbst in eine dunkle Zelle wirft und dann vergisst.

26.4.1998 Dr. Christoph Egger-Büssing, Laufenburg (Brief authentisch zitiert)

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